Erneut ist die öffentlich verbreitete Hoffnung der griechischen Regierung auf ein Ende der zweiten Inspektion der Kreditgeber zerschlagen. EU-Kommissar Pierre Moscovici verkündete dies bereits zwei Tage vor dem Treffen der Eurogruppe. Die Regierung setzt nun auf den nächsten Termin, den 20. Februar. Jede Verzögerung bedeutet indes, dass die griechische Wirtschaft weiterhin in einer Art Tiefkühlung feststeckt. Ohne wirtschaftlichen Aufschwung wird jedoch nichts wahrscheinlicher als ein viertes Rettungsprogramm oder aber ein Grexit. In Momenten, in denen er sich unbeobachtet fühlt, zeigt der griechische Premier Alexis Tsipras, der in den vergangenen zwei Jahren sichtlich gealtert ist, Zeichen der Müdigkeit und Resignation.

Seit Beginn der Inspektion im Herbst 2016 spielt sich das gleiche Theater vor jedem Treffen der Eurogruppe ab. Vorbereitet wurde die zweite Inspektion bereits bei einem Treffen der Euro Working Group am 29. August 2015. Seinerzeit sollten die Eckpunkte der Verhandlungen fixiert werden, so dass eine schnelle Beendigung der Inspektion der griechischen Wirtschaft die Grundlagen für den Aufschwung und den Banken den Zugang zu Mario Draghis Gelddruckmaschine gewähren sollte. Geplant war, dass die Inspektion direkt nach dem Ende der bereits mehrere Monate verzögerten ersten Inspektion starten sollte.

Die Kreditgeber ließen sich Zeit. So lange die Inspektion und die damit verbundenen fiskalischen, arbeitsrechtlichen aber auch juristischen Reformen nicht abgeschlossen sind, zögern Investoren jedoch, in Griechenland eine Geschäftsidee umzusetzen.

So hieß es Anfang Oktober 2016, dass unter den 45 Forderungen der Kreditgeber nicht nur ein mittelfristiger Etatplan für die Jahre 2017 bis 2020 ist. Bereits dies impliziert, dass fiskalische Ziele erreicht werden müssen. Kann der Staat demnach die gewünschten Steuern nicht in der geplanten Höhe eintreiben, dann werden neue Steuern erhoben.

Zahlreiche gesetzgeberische Baustellen

Zu den eher positiven Forderungen zählt die Einführung einer Sozialhilfe, die es immer noch nicht gibt. Darüber hinaus warten die Banken endlich auf ein Insolvenzrecht, welches die faulen Kredite betrifft. Ohne die Bereinigung der Bilanzen von den faulen Krediten sind keine neuen Kreditvergaben möglich. Bereits hier hat die Regierung von Alexis Tsipras ein Problem. Tsipras versprach vor zwei Jahren bei seinem Amtsantritt, die Griechen vor der Pfändung ihrer einzigen Wohnung zu schützen. Dies konnte er, anders als seine konservativeren Vorgänger, nicht einhalten. Weil aber für Pfändungen noch Gerichtsverfahren notwendig sind, versammeln sich seit Monaten frühere Parteigänger Tsipras in den Gerichtssälen und torpedieren die Verhandlungen zur Freigabe der Pfändung und zur Versteigerung von Sachgütern säumiger Schuldner. Die Regierung umgeht dies nun mit einer neuen Gesetzgebung, welche das juristische Versteigerungsverfahren ins Internet verlegt. Ab März können die Schuldner dann mit „einem Klick obdachlos werden“. Solche Gesetze mindern den Rückhalt Tsipras in der Bevölkerung.

Die von Protektionismus geschützte Kaste der Pharmazeuten hat Tsipras bereits als Gegner. Künftig sollen wie in den USA, die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente in Griechenland in Supermärkten verkauft werden. Geschlossene Berufsfelder werden, wie von den Kreditgebern verlangt, weiter geöffnet, während gleichzeitig den einheimischen Freiberuflern immer höhere Abgaben abverlangt werden. Als Konsequenz verlegen viele von diesen ihren steuerlichen Wohnsitz in andere EU-Staaten und bescheren dem Staat damit Einnahmeminderungen, welche gemäß von den Kreditgebern verlangten „Kostenbremse“ zu weiteren Abgaben und Leistungskürzungen für die übrige Bevölkerung aber auch für Investoren führen. Für industrielle Investoren ist zudem interessant, dass die Kreditgeber einen neuen Gesetzesrahmen für das Transportwesen in Griechenland sehen möchten. Hier sind die Kosten noch nicht kalkulierbar.

Weitere Forderungen der Kreditgeber betreffen die Verwaltung, die Öffnung des Energiemarkts aber auch die weitere Erleichterung von Massenentlassungen in Verbindung mit der Aufweichung der Rechte von Gewerkschaften. Die meisten der Maßnahmen werden die Wirtschaft des Landes weiter belasten und erst mittel- oder langfristig für eine Erholung sorgen.

IWF nicht zu Forderungsverzicht bereit

Der für Europa verantwortliche IWF-Vertreter Poul Thomsen hat kürzlich öffentlich geäußert, dass er für Griechenland erst in 21 Jahren eine einstellige Arbeitslosenquote erwartet. Demnach würde sich Griechenland erst knapp drei Jahrzehnte nach dem Beginn der Krise wieder erholen. Der IWF, der sich vor allem durch den Optimismus der früheren Regierung von Giorgos Papandreou zunächst zuversichtlich hinsichtlich des prognostizierten griechischen Aufschwungs gezeigt hatte, gehört nun zu denjenigen, die in den harten Forderungen der Kreditprogramme ein die Krise verstärkendes Mittel sehen. Dies betrifft insbesondere die vertraglich vereinbarte Höhe des Primärüberschusses von 3,5 Prozent für eine noch nicht definierte Zeitperiode der nächsten Jahre.

Allerdings ist der IWF nicht bereit, auf eigene Forderungen an Griechenland zu verzichten. Das Stocken der Verhandlungen zur zweiten Inspektion ist im Prinzip nichts anderes, als eine gegenseitige Schuldzuweisung der Kreditgeber untereinander und aller gemeinsam gegen die ungeliebte griechische Regierung. Dass die Administration von Alexis Tsipras sich trotz ihrer nominellen linken Ideologie als bisher treuester Erfüllungsgehilfe der Forderungen der Kreditgeber erwiesen hat, ist im aktuellen Streit kaum mehr eine Randnotiz wert. Denn Tsipras' Potential für weitere Kürzungen und Steuererhebungen ist erschöpft.

Das alles führt zu dem Paradoxon, dass der IWF sich nur dann aktiv, also mit finanziellen Mitteln, am Programm beteiligen möchte, wenn die Europäer auf eigene Forderungen verzichten. Der IWF ist auch seinen nicht europäischen Anteilseignern Rechenschaft schuldig und kompetent genug, um die Aussichtslosigkeit der bisherigen Taktik der Rettungspakete zu erkennen. Anders als die US-Regierung unter Barack Obama ist von der Seite des amtierenden Präsidenten Donald Trump keine Unterstützung für die EU zu erwarten. Wenn kein Wunder geschieht, müssen EU und EZB sich auf einen Zahlungsausfall Griechenlands einstellen.

Wahljahr 2017: Fortgesetzte Griechenland-"Rettung" oder Offenbarungseid?

Genau dies kann Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble mitten im Beginn des eigenen Bundestagswahlkampfs kaum gegenüber seinen Wählern vertreten. Das Gleiche gilt für Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, der sich als Finanzminister der Regierung von Mark Rutte bereits am 15. März 2017 dem Wählervotum stellen muss. Umso unwahrscheinlicher erscheint es, dass Schäuble und Dijsselbloem den Griechen am 20. Februar entgegenkommen werden.

Faktisch ist Griechenlands öffentliche Hand ohne den Abschluss der zweiten Inspektion ohne Rettungsprogramm. Denn ohne Abschluss gibt es keine weitere Tranchenzahlung. Die Regierung verzögert die Zahlung ihrer eigenen Schulden an die einheimische Wirtschaft, um Renten und Gehälter, aber auch die Schulden an internationale Kreditgeber zu zahlen. Bis zum Mai geht das voraussichtlich noch gut.

Vom Mai an ist Griechenland dann unter dem Damoklesschwert einer unkontrollierten Pleite. Sollte das dritte Programm endgültig scheitern. Dass Wolfgang Schäuble einem vierten Programm vor der Bundestagswahl zustimmen könnte, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Ohne den Schirm eines Programms wären aber auch die griechischen Banken von der Finanzierung seitens der EZB ausgeschlossen.

Dies wäre der „sudden death“, der plötzliche Tod des griechischen Bankenwesens. Ergo würde es in diesem Fall zur Sparerbeteiligung bei der Abwicklung der Banken kommen. Angesichts der bestehenden Kapitalverkehrskontrollen bleibt den Griechen keine Möglichkeit, ihr Geld außer Landes zu schaffen. Wie sollte ein Investor, der seine Sinne beisammen hat, unter solchen Bedingen Geld aus dem Ausland nach Griechenland bringen, um dort zu investieren?

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